Schärfere Regeln – mehr Verantwortung: Die neue Gefahrstoffverordnung in der Praxis

Neue Gefahrstoffverordnung – hier die wichtigsten Änderungen

Mit der Novellierung der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) setzt der Gesetzgeber neue Impulse für den Schutz von Beschäftigten im Umgang mit gefährlichen Stoffen. Die überarbeitete Verordnung ist Teil einer umfassenden Anpassung an europäisches Recht sowie an den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik. Unternehmen sind nun gefordert, ihre Gefährdungsbeurteilungen, Betriebsanweisungen und Schutzmaßnahmen auf den Prüfstand zu stellen. In diesem Fachartikel erfahren Sie, welche zentralen Änderungen gelten – und was Sie jetzt tun müssen.

Gültigkeit der neuen Verordnung

Die neue Gefahrstoffverordnung wurde am 26. Oktober 2023 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und ist seit dem 1. Januar 2024 rechtsverbindlich. Für bestimmte Regelungen (z. B. das Expositionsverzeichnis) gelten Übergangsfristen, die Unternehmen jedoch nicht zu Untätigkeit berechtigen – jetzt ist der richtige Zeitpunkt für eine umfassende Bestandsaufnahme.

1. Neustrukturierung der Gefährdungsbeurteilung

Ein zentrales Anliegen der überarbeiteten Verordnung ist die stärkere Fokussierung auf die Gefährdungsbeurteilung als zentrales Instrument des Arbeitsschutzes. Neu ist:

  • Systematischer Aufbau: Die Gefährdungsbeurteilung muss schrittweise und nachvollziehbar dokumentiert werden. Die neue Verordnung gibt hierfür eine klarere Struktur vor.

  • Stoffgemische im Fokus: Auch Gemische müssen künftig umfassender bewertet werden, insbesondere hinsichtlich ihrer synergistischen Effekte.

  • Substitution wird Pflichtaufgabe: Arbeitgeber müssen aktiv nach weniger gefährlichen Stoffen oder Verfahren suchen – und dies dokumentieren.

2. Klarstellung zu Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen

Die neuen Regelungen konkretisieren die Anforderungen an Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen der Kategorie 1A und 1B:

  • Verbot von bestimmten Tätigkeiten: Tätigkeiten mit bestimmten Stoffen dürfen nur noch unter strengsten Voraussetzungen durchgeführt werden.

  • Spezielle Schutzmaßnahmen: Es gelten deutlich verschärfte Anforderungen an technische und organisatorische Schutzmaßnahmen, einschließlich Absaugungen, geschlossener Systeme und medizinischer Vorsorge.

3. Erweiterte Pflicht zur Unterweisung

Die Pflicht zur regelmäßigen Unterweisung der Beschäftigten wurde erweitert:

  • Individuelle Gefährdung im Mittelpunkt: Unterweisungen müssen stärker auf die konkrete Tätigkeit und den individuellen Arbeitsplatz zugeschnitten sein.

  • Dokumentationspflicht: Die Inhalte, das Datum und die Teilnahme sind verpflichtend zu dokumentieren – die Verantwortung liegt klar beim Arbeitgeber.

  • Verweis auf DGUV Regel 109-003: Die DGUV Regel 109-003 „Tätigkeiten mit Gefahrstoffen“ konkretisiert die Anforderungen an die persönliche Unterweisungspflicht des Arbeitgebers. Dort wird unter anderem betont, dass Unterweisungen vor Aufnahme der Tätigkeit sowie regelmäßig – mindestens einmal jährlich – durchgeführt werden müssen und praxisnah auf konkrete Gefährdungen einzugehen ist.

4. Einführung des „Expositionsverzeichnisses“

Neu eingeführt wird ein verbindliches Expositionsverzeichnis für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen. Dieses Verzeichnis dient dem Langzeitschutz der Beschäftigten und muss folgende Informationen enthalten:

  • Art und Dauer der Tätigkeit

  • Bezeichnung des Stoffes und verwendete Konzentrationen

  • getroffene Schutzmaßnahmen

Zudem besteht eine Aufbewahrungspflicht von 40 Jahren – ein erheblicher Mehraufwand für die Unternehmen, aber ein bedeutender Schritt im Sinne der Vorsorge.

5. Schutz junger und besonders gefährdeter Beschäftigter

Besondere Schutzmaßnahmen gelten nun auch explizit für:

  • Schwangere und stillende Beschäftigte

  • Jugendliche in Ausbildung

  • Personen mit erhöhtem gesundheitlichem Risiko

Für diese Personengruppen ist eine individuelle Gefährdungsbeurteilung zwingend erforderlich – pauschale Maßnahmen reichen nicht mehr aus.

6. Stärkere Einbindung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte

Die überarbeitete GefStoffV betont die Rolle interner und externer Fachkräfte:

  • Frühzeitige Einbindung: Bereits bei der Planung neuer Prozesse oder der Einführung neuer Stoffe müssen die Experten eingebunden werden.

  • Verbindliche Stellungnahmen: Ihre Empfehlungen müssen dokumentiert und berücksichtigt werden.

Was Unternehmen jetzt tun müssen

Die Umsetzung der neuen Anforderungen erfordert systematisches Vorgehen. Unternehmen sollten folgende Schritte einleiten:

  1. Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung: Prüfen Sie alle Tätigkeiten mit Gefahrstoffen – insbesondere im Hinblick auf Substitutionsmöglichkeiten, Krebsrisiken und die Verwendung von Gemischen.

  2. Überarbeitung der Betriebsanweisungen: Passen Sie Inhalte, Schutzmaßnahmen und Hinweise auf Grundlage der neuen Anforderungen an.

  3. Einrichtung des Expositionsverzeichnisses: Legen Sie für betroffene Tätigkeiten ein vollständiges Verzeichnis an und beachten Sie die Aufbewahrungsfristen.

  4. Schulung und Unterweisung der Beschäftigten: Schulen Sie gezielt zu den neuen Anforderungen und dokumentieren Sie die Unterweisungen – unter Berücksichtigung der DGUV-Regel 109-003.

  5. Beteiligung von Experten: Ziehen Sie Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte frühzeitig und verbindlich ein.

  6. Kommunikation und Sensibilisierung: Informieren Sie Ihre Belegschaft über neue Anforderungen und fördern Sie das Bewusstsein für den sicheren Umgang mit Gefahrstoffen.

Die novellierte Gefahrstoffverordnung bringt zahlreiche Änderungen, die nicht nur technische, sondern auch organisatorische und dokumentarische Anforderungen betreffen. Unternehmen sollten zeitnah prüfen, ob ihre bestehenden Maßnahmen den neuen Vorgaben entsprechen. Ein proaktives Vorgehen – idealerweise unter Einbindung von Fachkräften für Arbeitssicherheit – ist dabei der Schlüssel zu einem wirksamen und rechtssicheren Gefahrstoffmanagement.

Tipp: Nutzen Sie die Revision als Anlass für eine ganzheitliche Betrachtung Ihrer Gefahrstoffprozesse – von der Lagerung über die Kennzeichnung bis hin zur Entsorgung.

Die 10 wichtigsten Unterweisungen für 2025

Damit Unternehmen den Anforderungen der neuen GefStoffV gerecht werden und einen wirksamen Arbeitsschutz gewährleisten, sollten folgende Unterweisungsthemen in der Jahresplanung 2025 berücksichtigt werden:

  1. Grundlagen im Umgang mit Gefahrstoffen
    – Definition, Kennzeichnung nach CLP, Sicherheitsdatenblätter verstehen und anwenden.

  2. Persönliche Schutzausrüstung (PSA)
    – Auswahl, richtige Anwendung, Wartung und Grenzen der PSA bei Gefahrstofftätigkeiten.

  3. Lagerung und Transport von Gefahrstoffen im Betrieb
    – Gefahrenklassen, Trennungsvorgaben, Lagerbedingungen, innerbetrieblicher Transport.

  4. Maßnahmen im Brand- oder Leckagefall
    – Notfallmanagement, Verhalten bei Austritt, Feuerlöscheinrichtungen, Erste Hilfe.

  5. Spezielle Unterweisung zu krebserzeugenden Gefahrstoffen (Kat. 1A/1B)
    – Besondere Schutzmaßnahmen, Dokumentationspflichten, Expositionsverzeichnis.

  6. Reinigung und Entsorgung von Gefahrstoffresten
    – Vermeidung von Kontamination, sichere Entsorgung nach interner Regelung.

  7. Unterweisung für Auszubildende und junge Beschäftigte
    – Zielgruppengerechte Einführung mit Fokus auf Gefahrenbewusstsein und Schutzmaßnahmen.

  8. Arbeitsplatzbezogene Gefährdungsbeurteilung und Verhaltensregeln
    – Konkrete Risiken im jeweiligen Bereich, sicherheitsgerechtes Verhalten, Rückfragen.

  9. Substitution und sicherheitsbewusstes Arbeiten
    – Umgang mit Alternativen, Beteiligung bei Auswahl sichererer Stoffe oder Verfahren.

  10. Aktualisierte Betriebsanweisungen und Änderungen in der Rechtslage
    – Schulung bei Änderungen der GefStoffV, innerbetrieblichen Regelungen oder Betriebsanweisungen.

Hinweis: Gemäß §14 GefStoffV und DGUV Regel 109-003 sind Unterweisungen vor Aufnahme der Tätigkeit sowie mindestens jährlich durchzuführen – zusätzlich bei besonderen Anlässen (z. B. neue Stoffe, Unfälle, Änderungen im Arbeitsablauf).