Neue Stoffe in der SVHC-Kandidatenliste – Auswirkungen auf Unternehmen und die Zukunft der REACH-Verordnung
Die Regulierung von Chemikalien in Europa ist seit Jahren ein hochdynamisches Feld. Mit der REACH-Verordnung (EG Nr. 1907/2006) hat die Europäische Union ein weltweit einzigartiges Regelwerk geschaffen, das den Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Stoffen in den Mittelpunkt stellt. Ein zentrales Element innerhalb dieses Regelwerks ist die sogenannte SVHC-Kandidatenliste – die Liste der besonders besorgniserregenden Stoffe („Substances of Very High Concern“).
Diese Liste wächst stetig an, da immer neue Erkenntnisse über Risiken von Stoffen gewonnen werden. Im Jahr 2025 wurde sie erneut erweitert – zunächst im Januar um fünf Stoffe und die Anpassung eines bestehenden Eintrags, im Juni dann um drei weitere Substanzen. Damit umfasst die SVHC-Liste inzwischen 250 Einträge. Für Unternehmen in der gesamten Lieferkette bedeutet dies unmittelbare neue Pflichten, die nicht unterschätzt werden dürfen.
Dieser Fachartikel zeigt auf, welche neuen Stoffe aufgenommen wurden, welche Eigenschaften sie besitzen, welche Pflichten Unternehmen nun erfüllen müssen und wie sich die REACH-Verordnung in den kommenden Jahren weiterentwickeln könnte.
Die Rolle der SVHC-Kandidatenliste
Die SVHC-Kandidatenliste ist nicht nur ein Verzeichnis, sondern eine Art Frühwarnsystem. Sie enthält Stoffe, die als besonders problematisch eingestuft werden, weil sie zum Beispiel krebserregend, erbgutverändernd, fortpflanzungsgefährdend oder besonders langlebig und schwer abbaubar sind. Auch Stoffe mit endokrinen Wirkungen – also Substanzen, die das Hormonsystem beeinflussen – gehören dazu.
Die Aufnahme in die Kandidatenliste ist der erste Schritt hin zu einer möglichen strengeren Regulierung. In einem nächsten Schritt können diese Stoffe in den Anhang XIV von REACH überführt werden, womit sie einer Zulassungspflicht unterliegen. Für Unternehmen bedeutet dies: Ohne Zulassung dürfen die Stoffe ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr verwendet werden. Alternativ können Stoffe über den Anhang XVII vollständig oder teilweise beschränkt werden. Die Kandidatenliste markiert also den Beginn einer Kette von regulatorischen Maßnahmen.
Die Erweiterung im Januar 2025
Im Januar 2025 wurde die Liste um fünf neue Stoffe ergänzt, außerdem wurde der bestehende Eintrag für Tris(4-nonylphenyl, branched and linear) phosphite (TNPP) angepasst. Neu ist, dass dieser Stoff nun auch unabhängig von vorhandenen Verunreinigungen als endokriner Disruptor gilt.
Die fünf neu aufgenommenen Stoffe sind:
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6-[(C10-C13)-alkyl-(branched, unsaturated)-2,5-dioxopyrrolidin-1-yl]hexanoic acid
Dieser Stoff ist reproduktionstoxisch. Er wird vor allem in Schmiermitteln, Fetten, Trennmitteln und Metallbearbeitungsflüssigkeiten eingesetzt. Damit betrifft die Aufnahme zahlreiche industrielle Anwendungen, insbesondere im Maschinen- und Metallbau. -
O,O,O-triphenyl phosphorothioate
Diese Verbindung weist Eigenschaften eines PBT-Stoffes auf – sie ist also persistent, bioakkumulativ und toxisch. Sie findet Verwendung in Schmiermitteln, Bremsflüssigkeiten und Kühlmitteln. Das macht sie besonders relevant für die Automobil- und Maschinenindustrie. -
Octamethyltrisiloxane
Ein Vertreter der Siloxane, der als vPvB-Stoff eingestuft wurde (very persistent, very bioaccumulative). Er wird in Klebstoffen, Beschichtungen, Kosmetika sowie in Wasch- und Reinigungsmitteln genutzt. Damit ist dieser Stoff sowohl für industrielle Anwendungen als auch für den Konsumgüterbereich von Bedeutung. -
Perfluamine
Dieser Stoff gehört zur Gruppe der fluorierten Verbindungen und wurde aufgrund seiner vPvB-Eigenschaften aufgenommen. Er kommt in verschiedenen technischen Bereichen zum Einsatz, etwa in Elektronik, Maschinenbau oder Fahrzeugtechnik. -
Reaktionsmasse aus triphenylthiophosphat und tertiär-butylsubstituierten Phenyl-Derivaten
Auch hier handelt es sich um einen PBT-Stoff. Der Einsatz ist bislang weniger verbreitet, dennoch unterliegt auch er nun denselben regulatorischen Anforderungen.
Die Januar-Aufnahme verdeutlicht den breiten Anwendungsbereich: Von Industriechemikalien über Schmierstoffe bis hin zu Alltagsprodukten wie Kosmetik sind zahlreiche Branchen betroffen.
Die Erweiterung im Juni 2025
Im Juni 2025 wurde die Liste um drei weitere Substanzen ergänzt:
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1,1,1,3,5,5,5-Heptamethyl-3-[(trimethylsilyl)oxy]trisiloxane
Dieser Stoff gehört zur Siloxan-Familie und wurde als vPvB eingestuft. Er findet sich in Laborchemikalien, Klebstoffen, Kosmetika, Lacken und Reinigungsmitteln. Damit sind erneut sowohl industrielle als auch konsumorientierte Anwendungen betroffen. -
Decamethyltetrasiloxane
Ebenfalls ein Siloxan, mit denselben vPvB-Eigenschaften. Typische Anwendungen sind Kosmetika, Polituren, Autopflegeprodukte und Reinigungsmittel. Besonders für die Konsumgüterindustrie sind damit neue Pflichten entstanden. -
Reactive Brown 51
Ein komplexer Farbstoff, der reproduktionstoxisch eingestuft wurde. Er wird in der Textilindustrie eingesetzt und betrifft damit insbesondere die chemische und die verarbeitende Industrie im Bereich Textilbehandlung.
Mit dieser Ergänzung stieg die Anzahl der Einträge in der Kandidatenliste auf insgesamt 250.
Welche Pflichten ergeben sich für Unternehmen?
Die Aufnahme eines Stoffes in die Kandidatenliste löst sofort rechtliche Verpflichtungen aus. Unternehmen müssen ab diesem Zeitpunkt handeln – es gibt keine Übergangsfrist. Zu den wichtigsten Pflichten gehören:
1. Informationspflicht entlang der Lieferkette
Sobald ein Erzeugnis mehr als 0,1 Gewichtsprozent eines gelisteten SVHC enthält, muss der Lieferant seine gewerblichen Abnehmer informieren. Diese Information muss mindestens den Namen des Stoffes umfassen, häufig ist es jedoch sinnvoll, auch Hinweise zur sicheren Verwendung zu geben.
Zusätzlich gilt eine Verbraucherpflicht: Auf Anfrage müssen Verbraucher innerhalb von 45 Tagen kostenfrei informiert werden, ob ein Erzeugnis SVHCs enthält.
2. SCIP-Datenbankmeldung
Seit dem 5. Januar 2021 besteht die Pflicht, Erzeugnisse mit mehr als 0,1 % SVHC an die SCIP-Datenbank der Europäischen Chemikalienagentur zu melden. Diese Datenbank stellt sicher, dass Informationen über gefährliche Stoffe auch beim Recycling und in der Abfallwirtschaft berücksichtigt werden.
Mit jeder Erweiterung der Kandidatenliste müssen Unternehmen prüfen, ob ihre Produkte betroffen sind, und gegebenenfalls bestehende Meldungen aktualisieren.
3. Sicherheitsdatenblätter
Werden SVHCs als Stoff oder Bestandteil von Gemischen in Verkehr gebracht, ist ein aktuelles Sicherheitsdatenblatt erforderlich. Dieses muss ab dem Zeitpunkt der Listung angepasst und mit den entsprechenden Informationen versehen werden.
4. Meldepflichten gegenüber der ECHA
Für Hersteller und Importeure gilt: Enthält ein Erzeugnis mehr als 0,1 % eines SVHC und überschreitet die Gesamtmenge pro Jahr eine Tonne, muss dies innerhalb von sechs Monaten nach Aufnahme in die Liste an die ECHA gemeldet werden.
5. Dokumentation und Risikomanagement
Unternehmen müssen interne Prozesse etablieren, um die Einhaltung der Vorgaben nachweisen zu können. Dazu gehören Lieferantenerklärungen, Prüfberichte, Berechnungen zu Stoffkonzentrationen oder interne Risikoanalysen.
6. Monitoring
Da die Liste regelmäßig erweitert wird, ist ein kontinuierliches Monitoring unverzichtbar. Unternehmen müssen ihre Produkte und Materialien stets auf neue SVHC-Einträge überprüfen.
Ab wann gelten die Pflichten?
Die Pflichten treten unmittelbar mit der Aufnahme in die Kandidatenliste in Kraft. Während die SCIP-Meldepflicht bereits seit 2021 gilt, müssen Informations- und Sicherheitsdatenblattpflichten sofort umgesetzt werden. Nur die Meldepflicht an die ECHA für Erzeugnisse mit mehr als einer Tonne pro Jahr sieht eine sechsmonatige Frist vor.
Für Unternehmen bedeutet das: Ab dem Tag der Veröffentlichung im Amtsblatt oder auf der ECHA-Webseite sind sie in der Verantwortung.
Zukunft der REACH-Verordnung – wohin geht die Reise?
Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen klar: Die REACH-Verordnung wird stetig weiterentwickelt, um Mensch und Umwelt noch besser zu schützen. Für die kommenden Jahre zeichnen sich mehrere Trends ab:
1. Kontinuierliche Erweiterung der SVHC-Liste
Die Kandidatenliste wird regelmäßig – meist im Januar und Juni – erweitert. Dieser Prozess wird sich fortsetzen, da wissenschaftliche Erkenntnisse und politische Zielsetzungen wie der europäische Green Deal eine strengere Chemikalienpolitik vorantreiben.
2. Überführung in strengere Regelungen
Viele der heute gelisteten SVHC werden in den kommenden Jahren in Anhang XIV überführt und damit zulassungspflichtig. Für Unternehmen bedeutet dies erhebliche Aufwände, denn ohne Zulassung ist eine Verwendung dann nicht mehr möglich. Parallel dazu wird die Zahl der Beschränkungen in Anhang XVII steigen.
3. Stärkere Rolle der Digitalisierung
Die SCIP-Datenbank ist nur der Anfang. In Zukunft werden digitale Systeme eine noch größere Rolle spielen. Automatisierte Datenmeldungen, digitale Sicherheitsdatenblätter und eine verbesserte Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Lieferkette sind absehbar.
4. Mehr Transparenz und Konsumentenschutz
Verbraucherrechte stehen zunehmend im Fokus. Es ist denkbar, dass Informationen über SVHCs künftig noch einfacher öffentlich zugänglich gemacht werden, um Kaufentscheidungen zu beeinflussen.
5. Verstärkte Kontrolle und Sanktionen
Die Mitgliedstaaten bauen ihre Kontrollmechanismen aus. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass Verstöße gegen die Pflichten künftig konsequenter geahndet werden.
Die Aufnahme neuer Stoffe in die SVHC-Kandidatenliste zeigt, wie dynamisch das europäische Chemikalienrecht ist. Im Jahr 2025 kamen insgesamt acht neue Stoffe hinzu, die Liste umfasst nun 250 Einträge.
Für Unternehmen gilt: Die Pflichten treten sofort in Kraft. Informationsweitergabe, SCIP-Meldung, Sicherheitsdatenblätter und gegebenenfalls ECHA-Meldungen sind unverzüglich umzusetzen. Eine sorgfältige Dokumentation und ein strukturiertes Monitoring sind unerlässlich, um rechtliche Risiken und mögliche Sanktionen zu vermeiden.
Die Richtung ist klar: REACH wird weiter verschärft, Transparenz und Digitalisierung werden zentrale Bausteine der künftigen Regulierung. Wer jetzt vorausschauend handelt, sichert nicht nur die eigene Compliance, sondern stärkt auch das Vertrauen von Kunden und Geschäftspartnern.