Lieferkettenrichtlinie CSDDD: Nationale Umsetzung, Pflichten und Fristen für Unternehmen

Neue Pflichten, Fristen und Handlungsspielräume für Unternehmen

Die europäische Lieferkettenrichtlinie, offiziell Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), markiert einen entscheidenden Schritt in Richtung nachhaltiger und verantwortungsvoller Unternehmensführung. Nach langen Verhandlungen ist die Richtlinie im Sommer 2024 in Kraft getreten. Mit ihr werden europaweit erstmals einheitliche Mindeststandards geschaffen, die Unternehmen verpflichten, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu identifizieren, zu verhindern und zu mindern. Ergänzt wird dieser Pflichtenkatalog durch die Anforderung, einen Klimatransitionsplan vorzulegen, der auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens abgestimmt ist.

Deutschland, das bereits mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) seit 2023 nationale Regelungen eingeführt hat, steht nun vor der Aufgabe, dieses bestehende Gesetz bis spätestens Juli 2027 an die neuen europäischen Vorgaben anzupassen. Für Unternehmen bedeutet das: Die bekannten Pflichten werden in den kommenden Jahren ausgeweitet, konkretisiert und durch zusätzliche rechtliche Konsequenzen flankiert.

Für wen gilt die CSDDD?

Die Richtlinie zielt auf große Unternehmen ab, die durch ihre Größe und Marktmacht besonderen Einfluss auf Wertschöpfungsketten ausüben. Betroffen sind:

  • EU-Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Jahresumsatz von über 450 Mio. Euro.

  • Drittstaatsunternehmen, wenn sie mehr als 450 Mio. Euro Umsatz in der EU erwirtschaften.

  • Franchise- und Lizenznetzwerke, sofern sie Lizenzgebühren von mehr als 22,5 Mio. Euro bei gleichzeitigem Umsatz von über 80 Mio. Euro erzielen.

Die Verpflichtungen gelten nicht nur für die unmittelbare Lieferkette, sondern für eine sogenannte „chain of activities“. Dazu gehören Design, Beschaffung, Herstellung, Transport, Lagerung und Distribution. Lediglich die Entsorgung sowie weite Teile des nachgelagerten Finanzsektors sind ausgenommen. Damit wird der Verantwortungsbereich vieler Unternehmen deutlich weiter gefasst als bisher im deutschen LkSG.

Zeitplan: Wann müssen Unternehmen handeln?

Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die CSDDD bis spätestens 26. Juli 2027 in nationales Recht umzusetzen. Die Anwendung erfolgt gestaffelt in zwei Stufen:

  • Ab 26. Juli 2028: Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten und über 900 Mio. Euro Umsatz.

  • Ab 26. Juli 2029: Alle übrigen Unternehmen, die die genannten Schwellenwerte überschreiten.

Hinzu kommt: Die Berichtspflichten nach Artikel 16 gelten für die erste Stufe ab dem Geschäftsjahr 2029, für die zweite Stufe ab dem Geschäftsjahr 2030.

Unternehmen, die heute bereits vom LkSG erfasst sind, haben damit eine Übergangsfrist von wenigen Jahren, um ihre bestehenden Systeme auf das neue, verschärfte europäische Niveau anzuheben.

Bindende Verpflichtungen: Was verlangt die Richtlinie?

Die CSDDD führt eine Reihe verbindlicher Sorgfaltspflichten ein, die im Kern einem Risikomanagementsystem folgen. Sie sind nicht als reine Formalität gedacht, sondern müssen operativ wirksam umgesetzt und dokumentiert werden.

  1. Integration in Unternehmensstrategie: Unternehmen müssen eine Grundsatzerklärung sowie einen Verhaltenskodex entwickeln, der Menschenrechts- und Umweltstandards verbindlich festlegt. Diese Vorgaben sind in alle relevanten Prozesse zu integrieren.

  2. Risikomanagement: Die Identifizierung und Priorisierung von Risiken erfolgt entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dabei gilt der risikobasierte Ansatz: Unternehmen müssen sich auf die schwerwiegendsten und wahrscheinlichsten Risiken konzentrieren, die zugleich am stärksten beeinflussbar sind.

  3. Präventions- und Abhilfemaßnahmen: Unternehmen haben sicherzustellen, dass Risiken entweder durch Präventionsmaßnahmen minimiert oder – wenn bereits eingetreten – durch Abhilfemaßnahmen adressiert werden. Dazu gehören vertragliche Zusicherungen von Lieferanten, Anpassungen von Einkaufspraktiken, Auditierungen oder im Extremfall der verantwortungsvolle Ausstieg aus Geschäftsbeziehungen.

  4. Stakeholder-Dialog und Beschwerdeverfahren: Betroffene, Gewerkschaften und NGOs müssen in die Prozesse eingebunden werden. Zudem sind leicht zugängliche Beschwerdemechanismen einzurichten, die eine unabhängige und vertrauliche Bearbeitung gewährleisten.

  5. Monitoring und Reporting: Die Wirksamkeit der Maßnahmen ist regelmäßig zu überprüfen. Unternehmen müssen jährlich einen Bericht veröffentlichen, der auch über das zentrale europäische Unternehmensregister (ESAP) eingereicht wird.

  6. Klimatransformationsplan: Ein Novum ist die Pflicht, einen Plan zur Reduktion von Treibhausgasemissionen vorzulegen. Dieser muss mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens vereinbar sein, konkrete Zwischenziele enthalten und jährlich fortgeschrieben werden.

Durchsetzung und Sanktionen

Die CSDDD ist kein „Soft Law“. Vielmehr sind harte Durchsetzungsmechanismen vorgesehen:

  • Nationale Aufsichtsbehörden werden mit umfassenden Prüfungs- und Ermittlungsbefugnissen ausgestattet.

  • Bei Verstößen drohen Geldbußen von bis zu 5 % des weltweiten Jahresumsatzes.

  • Unternehmen, die Sorgfaltspflichten vorsätzlich oder fahrlässig verletzen, können zivilrechtlich haftbar gemacht werden. Geschädigte Parteien haben damit künftig deutlich bessere Klagemöglichkeiten.

Damit verschärft sich das Haftungsrisiko für Vorstände und Geschäftsführungen erheblich. Auch Fragen der Organhaftung und die Absicherung über D&O-Versicherungen gewinnen an Bedeutung.

Deutschland: Von der LkSG- zur CSDDD-Compliance

Deutschland hat mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bereits ein vergleichbares Regelwerk eingeführt. Dieses gilt seit 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden und seit 2024 ab 1.000 Mitarbeitenden. Zuständig für die Aufsicht ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).

Doch im Vergleich zur CSDDD weist das LkSG Lücken auf: Es kennt keine Klimapflicht, keine zivilrechtliche Haftung und auch keine europaweite Harmonisierung. Deshalb wird es in den kommenden Jahren angepasst oder durch ein neues Gesetz ersetzt werden müssen. Unternehmen, die sich bislang allein am LkSG orientieren, müssen daher nachschärfen.

Umsetzung in der Praxis: Ein Fahrplan für Unternehmen

Um die neuen Vorgaben rechtzeitig und wirksam umzusetzen, empfiehlt sich ein strukturierter Ansatz:

  1. Governance festlegen: Zuständigkeiten in Vorstand und Geschäftsführung klar definieren, Nachhaltigkeit in Vergütungssysteme und KPI verankern.

  2. Grundsatzerklärung überarbeiten: Unternehmenswerte und Lieferantenkodizes auf CSDDD-Niveau anheben.

  3. Risikomapping professionalisieren: Länder-, Branchen- und Lieferkettenrisiken mit belastbaren Scoring-Modellen identifizieren und priorisieren.

  4. Einkaufspraktiken prüfen: Kurzfristige Bestellungen, Preisdruck oder enge Lieferfristen können menschenrechtliche Risiken verstärken und müssen angepasst werden.

  5. Vertragliche Absicherung: Lieferantenverträge um klare Zusicherungen, Audit-Klauseln und Abhilfemechanismen erweitern.

  6. Beschwerdesystem einführen: Mehrsprachig, digital und anonym nutzbar – damit Beschäftigte und Betroffene sich ohne Hürden äußern können.

  7. Abhilfe-Mechanismen bereitstellen: Konkrete Prozesse für Wiedergutmachung (z. B. Entschädigungszahlungen, Re-Integrationsmaßnahmen).

  8. Klimatransformationsplan aufstellen: CO₂-Reduktionsziele, Investitionen und Umsetzungsmaßnahmen definieren und regelmäßig aktualisieren.

  9. Monitoring & Reporting etablieren: Systeme für Wirksamkeitsprüfung und Datenaufbereitung einführen, um Aufsichtsbehörden und Stakeholdern belastbare Nachweise zu liefern.

  10. Schulung & Kulturwandel: Mitarbeitende, insbesondere in Einkauf, Logistik und Qualitätssicherung, umfassend schulen und für die neuen Anforderungen sensibilisieren.

Umgang mit bindenden Verpflichtungen

Der wohl größte Unterschied zur bisherigen Rechtslage liegt in der Bindungswirkung der Pflichten. Unternehmen können sich nicht länger mit unverbindlichen Absichtserklärungen absichern. Ein Klimaplan, der in der Schublade verschwindet, genügt ebenso wenig wie ein Beschwerdeverfahren ohne ernsthafte Bearbeitung. Die Aufsichtsbehörden werden genau prüfen, ob Vorgaben nicht nur formal erfüllt, sondern tatsächlich umgesetzt werden.

Für die Praxis bedeutet das: Dokumentation und Nachweisführung sind entscheidend. Wer Risiken priorisiert, muss die Methode nachvollziehbar darlegen und konsequent verfolgen. Wer Präventionsmaßnahmen einleitet, muss deren Wirksamkeit evaluieren. Und wer Abhilfe verspricht, muss sie nachweislich leisten.

Handeln statt abwarten

Mit der CSDDD wird Nachhaltigkeit zu einer klaren Compliance-Pflicht. Unternehmen, die bislang nur das deutsche LkSG umgesetzt haben, sind nicht unvorbereitet – müssen ihre Systeme jedoch deutlich weiterentwickeln. Die kommenden Jahre sollten genutzt werden, um bestehende Strukturen auf europäisches Niveau zu heben, Risiken frühzeitig zu adressieren und Prozesse so aufzubauen, dass sie behördlicher und gerichtlicher Prüfung standhalten.

Die Richtlinie zeigt: Nachhaltigkeit ist kein freiwilliges „Nice-to-have“ mehr, sondern ein rechtsverbindlicher Standard mit spürbaren Konsequenzen. Wer jetzt handelt, reduziert nicht nur Haftungs- und Reputationsrisiken, sondern sichert sich auch Wettbewerbsvorteile in einem zunehmend regulierten Markt.