Abwasserreinigung im Wandel – Die vierte Reinigungsstufe und ihre Umsetzung nach EU 2024/3019

Sauberes Wasser ist eine der zentralen Lebensgrundlagen. Seit Jahrzehnten leisten kommunale Kläranlagen einen entscheidenden Beitrag, um häusliche und industrielle Abwässer so zu reinigen, dass sie gefahrlos in die Umwelt zurückgeführt werden können. Die bisherigen drei Reinigungsstufen – mechanisch, biologisch und chemisch, haben dabei enorme Fortschritte in der Reduktion von organischen Belastungen, Stickstoff- und Phosphoremissionen erzielt.

Doch in den letzten Jahren wurde immer deutlicher, dass sich viele sogenannte Mikroverunreinigungen – darunter Arzneimittelrückstände, Pestizide, hormonaktive Substanzen und Mikroplastik mit herkömmlichen Verfahren nicht ausreichend entfernen lassen. Diese Stoffe gelangen in Flüsse, Seen und Grundwasser, wirken teils toxisch auf aquatische Organismen und können langfristig auch Risiken für die Trinkwasserversorgung darstellen.

Die Antwort der Europäischen Union auf dieses Problem ist die novellierte Kommunalabwasserrichtlinie (EU 2024/3019). Sie schreibt für bestimmte Anlagen die Einführung einer vierten Reinigungsstufe vor. Diese zusätzliche Prozessstufe soll gezielt Spurenstoffe aus dem Abwasser entfernen und so die Gewässerqualität nachhaltig verbessern.

Rechtlicher Rahmen

Inkrafttreten und Umsetzungsfrist

Die EU-Richtlinie 2024/3019 trat am 1. Januar 2025 in Kraft. Alle Mitgliedstaaten sind verpflichtet, sie bis spätestens 31. Juli 2027 in nationales Recht zu überführen. Danach beginnen gestaffelte Umsetzungsfristen für die betroffenen Kläranlagen, abhängig von ihrer Größe und Belastungsklasse.

Anwendungsbereich

Betroffen sind insbesondere kommunale Kläranlagen mit einer Ausbaugröße von mehr als 100.000 Einwohnerwerten (EW) sowie Anlagen in sensiblen Einzugsgebieten, in denen die Einleitungen zu einer messbaren Beeinträchtigung der Gewässerqualität führen. Für mittelgroße Anlagen (z. B. ab 10.000 EW) kann die Pflicht greifen, wenn sie in Trinkwasserschutzgebieten oder in Regionen mit erhöhter Belastung liegen.

Einbindung in bestehendes EU-Recht

Die novellierte Kommunalabwasserrichtlinie steht in engem Zusammenhang mit der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG), die den „guten ökologischen Zustand“ aller europäischen Gewässer anstrebt, und der überarbeiteten Urban Waste Water Treatment Directive (UWWTD). Sie ergänzt diese um klare Vorgaben zur Spurenstoffentfernung und verankert erweiterte Monitoringpflichten.

Technische Grundlagen der vierten Reinigungsstufe

Die vierte Reinigungsstufe ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung zu den bestehenden drei Stufen. Sie setzt am Ende des Klärprozesses an und ist speziell auf schwer abbaubare Mikroschadstoffe ausgerichtet.

Verfahrenstechniken

  1. Aktivkohleadsorption

    • Pulver- oder Granulataktivkohle bindet Spurenstoffe an ihrer großen inneren Oberfläche.

    • Wirksam gegen viele organische Verbindungen, inklusive Arzneimittelwirkstoffen und Pestiziden.

    • Nachteil: Entsorgung oder Regeneration der Aktivkohle nötig.

  2. Ozonung

    • Ozon oxidiert organische Moleküle und bricht komplexe Strukturen auf.

    • Effektiv gegen hormonaktive Substanzen und Pharmazeutika.

    • Muss sorgfältig gesteuert werden, um keine schädlichen Nebenprodukte zu erzeugen.

  3. Membranfiltration (Nanofiltration, Umkehrosmose)

    • Physikalische Abtrennung durch sehr feine Filter.

    • Sehr hohe Reinigungsleistung, aber hoher Energiebedarf und komplexer Betrieb.

  4. Kombinationsverfahren

    • Oft werden Ozonung und Aktivkohle kombiniert, um eine breite Stoffpalette zu erfassen.

    • Kombinationen ermöglichen höhere Sicherheit und Anpassung an saisonale Belastungsschwankungen.

Monitoring und Nachweisführung

Die Richtlinie verpflichtet Betreiber, regelmäßig die Wirksamkeit zu kontrollieren. Dies umfasst:

  • Analytik von Leitsubstanzen (z. B. Diclofenac, Carbamazepin, Benzotriazol)

  • Jahresberichte an zuständige Behörden

  • Dokumentation von Betriebsparametern und Störungen

Auswirkungen auf Kommunen und Betreiber

Investitionsbedarf

Die Nachrüstung einer vierten Reinigungsstufe ist mit erheblichen Investitionskosten verbunden. Je nach Verfahren und Anlagengröße liegen diese zwischen 5 und 20 Mio. € pro Kläranlage.

Betriebskosten und Personal

  • Erhöhter Energiebedarf (v. a. bei Membranverfahren)

  • Mehr Wartungs- und Instandhaltungsaufwand

  • Schulung des Betriebspersonals für neue Technologien

  • Erhöhte Laborkosten durch engmaschigeres Monitoring

Fördermöglichkeiten

EU, Bund und Länder stellen Förderprogramme bereit – in Deutschland etwa über das Umweltinnovationsprogramm oder spezifische Landesprogramme für Wasserwirtschaft. Die Richtlinie selbst verpflichtet die Mitgliedstaaten, Finanzierungsmodelle zu entwickeln, die das Verursacherprinzip stärker berücksichtigen (z. B. Arzneimittelhersteller beteiligen).

Ökologische und gesellschaftliche Bedeutung

Die Einführung der vierten Reinigungsstufe hat weitreichende Umwelt- und Gesundheitseffekte:

  • Verbesserung der Gewässerqualität: Reduktion von Mikroschadstoffen um bis zu 90 % in den Ablaufwerten.

  • Schutz der Biodiversität: Rückgang hormoneller Verfälschungen bei Fischen und Amphibien.

  • Sicherung der Trinkwasserversorgung: Weniger Belastung für Wasserwerke, geringerer Aufbereitungsaufwand.

  • Klimaschutz-Aspekte: Indirekte Einsparung von CO₂ durch reduzierte energieintensive Trinkwasseraufbereitung.

Darüber hinaus stärkt die Maßnahme das öffentliche Vertrauen in die kommunale Wasserwirtschaft und signalisiert einen proaktiven Umgang mit neuen Umweltgefahren.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Technische Umrüstbarkeit

Nicht jede bestehende Anlage bietet baulich und hydraulisch die Voraussetzungen für eine einfache Nachrüstung. In dicht bebauten Kommunen kann es zu Platzproblemen kommen, in anderen Fällen sind umfangreiche Umbauten an Zulauf- oder Ablaufbauwerken nötig.

Fachkräftemangel

Die Bedienung und Wartung neuer Technologien erfordert spezifisches Know-how. Viele Kommunen sehen sich bereits heute mit einem Mangel an ausgebildeten Abwassermeistern und Ingenieuren konfrontiert.

Finanzierungslücken

Besonders kleinere und finanzschwache Kommunen stehen vor der Herausforderung, Eigenmittel aufzubringen. Die Richtlinie weist hier ausdrücklich auf solidarische Finanzierungsmodelle hin, z. B. über Zweckverbände.

Harmonisierung der Monitoringstandards

Die EU gibt Mindeststandards für Analytik und Nachweisführung vor, überlässt jedoch Details den Mitgliedstaaten. Ohne einheitliche Vorgaben drohen Unterschiede bei der Beurteilung der Reinigungsleistung.

Best-Practice-Beispiele und Pilotprojekte

Deutschland

  • Kläranlage Mannheim: Kombination aus Ozonung und Pulveraktivkohle mit Wirksamkeit >90 % bei Spurenstoffen.

  • Kläranlage Pforzheim: Einsatz von Granulataktivkohle in Festbettfiltern, ergänzt durch optimierte biologische Stufe.

Schweiz

Die Schweiz gilt als Vorreiter – seit 2016 ist dort eine gesetzliche Pflicht zur vierten Reinigungsstufe für ausgewählte Anlagen in Kraft. Erfahrungen zeigen:

  • Betriebsstabilität hoch, wenn Verfahren auf lokale Abwassermatrix abgestimmt sind

  • Geringe Akzeptanzprobleme, wenn Bevölkerung frühzeitig informiert wird

Niederlande

Dort werden verstärkt Innovationsprojekte gefördert, die modulare Anlagenkonzepte erproben, um Investitionen schrittweise umzusetzen.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass technische Vielfalt und frühe Planung entscheidend sind, um Kosten zu optimieren und Betriebssicherheit zu gewährleisten.

Die novellierte Kommunalabwasserrichtlinie EU 2024/3019 markiert einen Meilenstein in der europäischen Wasserpolitik. Die vierte Reinigungsstufe ist ein zukunftsweisender Schritt, um den Herausforderungen durch Mikroschadstoffe zu begegnen, eine Herausforderung, die in der öffentlichen Wahrnehmung lange unterschätzt wurde.

Die Umsetzung bis Juli 2027 stellt Kommunen, Betreiber und Gesetzgeber jedoch vor komplexe Aufgaben:

  • Technisch müssen Verfahren sorgfältig gewählt und in bestehende Infrastrukturen integriert werden.

  • Finanziell braucht es tragfähige Modelle, die Belastungen fair verteilen.

  • Personell sind Aus- und Weiterbildung des Betriebspersonals unverzichtbar.

Langfristig wird die vierte Reinigungsstufe nicht nur die Gewässerqualität verbessern, sondern auch als Baustein einer nachhaltigen Wasserwirtschaft wirken. Sie fügt sich ein in den europäischen Green Deal und die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie, den guten ökologischen Zustand aller Gewässer zu erreichen.

Mit konsequenter Planung, gezielter Förderung und frühzeitiger Öffentlichkeitsarbeit kann die Umsetzung nicht nur gesetzliche Pflicht erfüllen, sondern auch eine Investition in die Lebensqualität kommender Generationen sein.